2016 haben SPD und Grüne beschlossen, dass der Hambacher Forst abgeholzt wird. Anfang Oktober aber entschied das Oberverwaltungsgericht, dass die Rodung des Forstes gestoppt werden muss. Welche Folgen ergeben sich daraus für unseren Rechtsstaat, für unsere Industrie und für unsere Arbeitsplätze? Eine Kolumne von Christian Loose.

Christian Loose
Vor 41 Jahren wurden mit dem Teilplan „Hambach 12/1″ die Regeln für die Rekultivierung des Tagebaus Hambach erstmalig festgelegt. Seitdem wurden die genauen Abbaupläne immer wieder der Bezirks- und Landesregierung vorgelegt. Es bestand nie ein Zweifel, dass der Energieversorger RWE alle Rechte zum Abbau besaß. Dank der Europäischen Union (EU) gab es aber auch immer wieder neue Regelungen. Anscheinend können diese nun auch bestehendes deutsches Recht kippen. So scheint dies das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster zu sehen, das am 5. Oktober einer Klage des Ökoverbandes BUND recht gab.
Zunächst musste entschieden werden, ob der Hambacher Forst auf europäischer Ebene als schützenswertes Gebiet im Sinne der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie eingestuft werden sollte. Jedes Mitglied musste der EU ausreichende Schutzflächen für gefährdete Tier- und Pflanzenarten melden. Dabei geht es in der aktuellen Diskussion vor allem um die Bechsteinfledermaus. Dafür wurden im Februar 2006 insgesamt zwölf Gebiete in Deutschland als schützenswert gemeldet.
Fehlende Schutzflächen für die Bechsteinfledermaus?
Außerdem gibt es auch noch zahlreiche andere Gebiete mit Bechsteinfledermäusen in Deutschland, wie eine Untersuchung des Bundesamt für Naturschutz aus dem Jahr 2013 zeigt. Ein gemeldetes Gebiet etwa ist der Nörvenicher Wald, der nur sieben Kilometer vom Hambacher Forst entfernt liegt. Sowohl der EU als auch dem Landesumweltministerium reichten die angemeldeten Flächen aus – was zuletzt mit einem Runderlass vom 6. Juni 2016 unter Führung eines grünen Umweltministers bestätigt wurde.
Doch nun soll ein weiteres Gebiet bei der EU als schützenswertes Gebiet gemeldet werden. So zumindest nach Meinung des BUND. Das OVG sieht es zumindest als hinreichend wahrscheinlich an, dass diese Meldung erfolgreich sein könnte und hat deshalb das bestehende Recht der RWE zur Rodung des Forstes bis zu einer abschließenden Entscheidung aufgehoben. Damit wird der Tagebau Hambach voraussichtlich in etwa zwei Jahren vollständig zum Erliegen kommen, denn dann ist die Abbruchkante so nah am Hambacher Forst, dass nicht weiter gebaggert werden kann. Ein Umbaggern des Hambacher Forstes ist nicht möglich, da dieser mitten im Abbaugebiet liegt und ein Mindestabstand zum Forst eingehalten werden muss, damit es nicht zu einem Erdrutsch kommt.
Folgen für RWE und deren Mitarbeiter
Durch den Rodungsstopp verliert RWE die Möglichkeit, seine Mitarbeiter ab 2020 weiter im Tagebau einzusetzen. Denn erst dann wird die Entscheidung über die Schutznotwendigkeit des Hambacher Forstes gefällt. Sollte es dann mit der Rodung weitergehen, kostet das RWE also rund zwei Jahre. Denn nach der Rodung muss der Boden entwurzelt sowie nach Kriegsmunition und archäologisch relevanten Funden abgesucht werden. In dieser Zeit können die etwa 4.600 Mitarbeiter nicht für den Abbau der Kohle genutzt werden. Damit drohen Kurzarbeit oder gar Entlassungen.
Sollte die Rodung sogar gänzlich verboten werden, muss der Tagebau gestoppt werden und 4.600 Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel. Für die Renaturierung fehlt in diesem Fall die Modelliermasse – sprich: Erde -, so dass Millionen Tonnen davon herangeschafft werden müssen. RWE wird dauerhaft mehrere Milliarden Euro verlieren. RWE geht bereits jetzt davon aus, dass allein der zweijährige Rodungsstopp mehrere hundert Millionen Euro kosten wird. Geld, das auch den beteiligten Kommunen fehlen wird. Zahlreiche Städte im Ruhrgebiet wie Dortmund, Bochum, Essen oder Bottrop besitzen immer noch Aktien von RWE und verlieren schnell mal einige Millionen Euro, wenn die Dividende geringer ausfällt.
Derzeit sind viele Mitarbeiter verunsichert. Sie stehen vor dem Scherbenhaufen, den das OVG angerichtet hat. Bisher sind die Mitarbeiter davon ausgegangen, dass die Urteile des Verwaltungsgerichts Köln aus dem Juli 2018 und aus dem Jahr 2017 Bestand haben. Jetzt sind die Existenzen von vielen Menschen bedroht. Dabei sollte man auch sehen, dass es sich bei den Arbeitsplätzen im Tagebau um keine subventionierten Arbeitsplätze handelt. Die Mitarbeiter zahlen Steuern und investieren ihren Lohn in ihrem Revier. Die Folgeschäden des Bergbaus an Häuser und Flächen sowie die Renaturierung werden durch RWE getragen.
Folgen für Industrie und Energieversorgung
Die Entscheidung des OVG wird für die Industrie in Deutschland massive Folgen haben. Zunächst einmal bedeutet der Rodungsstopp, dass die Energiepreise weiter steigen werden. Denn wenn 2020 die Braunkohlekraftwerke, die mit der Hambacher Kohle betrieben werden, ausfallen, werden letztlich alte und damit teurere Steinkohlekraftwerke oder ebenfalls teurere Gaskraftwerke eingesetzt werden müssen. Bereits jetzt gehören die Strompreise in Deutschland zu den höchsten in Europa. Das wird auch dazu führen, dass Unternehmen in ein Land abwandern, das günstigere Energiepreise bietet. Hier ist allen voran das nahegelegene Frankreich zu nennen, wo der Strompreis bei knapp 15 Cent pro Kilowattstunde liegt – also etwa halb so hoch wie in Deutschland.
Die Frage wird aber auch sein, ob die verbleibende Leistung der Kraftwerke in Deutschland ausreicht, um einen Blackout zu verhindern. Ende 2017 wurde das Kernkraftwerk Gundremmingen B mit rund 1,3 Gigawatt (GW) vom Netz genommen. Ende 2019 wird auch das Kernkraftwerk Philippsburg 2 mit einer Leistung von etwa 1,4 GW stillgelegt. Bei der Dunkelflaute im Januar 2017 konnte ein Blackout nur unter großen Mühen verhindert werden.
Die Industrie wird sich aber die Frage stellen, wie wahrscheinlich ein Blackout im Jahr 2020 sein wird. Und das gilt nicht nur für die energieintensive Industrie, sondern auch für Krankenhäuser, Landwirte oder Tankstellen. Wie lange hält die Notstromversorgung für Krankenhäuser? Wie werden Kühe gemolken, wenn die strombetriebene Melkmaschine nicht funktioniert? Wie bekommen die Fahrzeuge Benzin, wenn die elektronisch betriebenen Pumpen der Tankstellen nicht mehr funktionieren? Denken Sie mal daran, was alles heute mit dem Auto kommt. Essen auf Rädern etwa für viele ältere Menschen. Und der Krankenwagen oder der Paketlieferant.
Folgen für die Rechtssicherheit
Hinzu kommt, dass Deutschland immer ein Land war, in dem das Vertrauen in die Gerichtsbarkeit ein besonders schutzwürdiges Gut war. Mit dieser Entscheidung aber hat das OVG ein seit 40 Jahren bestehendes Recht ausgehebelt. RWE wurden wichtige Eigentumsrechte genommen. Und zwar ohne dass dafür eine Entschädigung an das Unternehmen erfolgen muss. Die Grundlage für die Investitionen von RWE beruhte auf den Entscheidungen der Politik und des Prinzips des Rechtssicherheit. Natürlich kann die Politik andere Entscheidungen treffen. So wurden ja auch RWE die Abbaurechte für die Braunkohle vor Jahrzehnten übertragen. Dafür musste RWE aber die bisherigen Eigentümer großzügig entschädigen und einen umfangreichen Renaturierungsplan umsetzen.
Wenn die Politik, etwa im Rahmen einer sogenannten Kohlekommission, beschließen sollte, dass RWE aus übergeordneten Interessen die Flächen wieder entzogen werden, dann muss der Energieversorger natürlich für die bislang erfolgten Investitionen entschädigt werden. Ebenso müssen die Arbeitnehmer dann über die Entschädigungsmasse, die RWE bekommen würde, abgefunden werden.
Mit der Entscheidung des OVG wurde aber der Schutz des Eigentums nachhaltig zerstört. Das wird dazu führen, dass weniger Firmen in Deutschland investieren werden und dass Unternehmen, die sich bereits in Deutschland befinden, Investitionen ins Ausland verlagern werden. Das wird man nicht sofort merken, denn ein solcher Prozess wird schleichend voranschreiten. Bei der nächsten Revision, Ersatzinvestition oder bei der Frage nach einer Geschäftsausweitung wird die Entscheidung getroffen, ob Deutschland noch der geeignete Standort ist.
200 Hektar Forst bei einem jährlichen Zuwachs von 5.000 Hektar Wald
Die Natur zu schützen ist in Deutschland ein wichtiges Argument und ein moralisch erstrebenswertes Ziel. Beim Hambacher Forst geht es um einen Nutzwald, der bereits zu großen Teilen im 15. und 16. Jahrhundert abgeholzt wurde. Der von der Presse häufig genutzte Begriff des Waldes ist hier mindestens irreführend. Derzeit sind von der Forstfläche nur noch 200 Hektar vorhanden. Im Zeitraum von 2002 bis 2012 gab es in Deutschland einen Zuwachs von 50.000 Hektar Waldfläche.
Natürlich darf man die Meinung vertreten, dass man nicht mal einen einzelnen Baum fällen darf. Dann muss dieses Argument aber auch beim Bau von Windkraftanlagen erlaubt sein oder bei dem Ausbau von Autobahnen oder Wohngebieten. Dann darf sich auch niemand Möbel aus Massivholz kaufen, weder ein Wohnzimmertisch noch ein Bett.
Heute schließe ich mit einem Dank an alle Mitarbeiter, die im Bereich der Energieerzeugung oder der Stromnetze arbeiten und jeden Tag dafür sorgen, dass ich jeden Morgen aufstehen darf und dann auch eine warme Dusche und einen heißen Kaffee bekomme.
Die Kolumnen von NRW.direkt geben die Meinung des jeweiligen Autors wieder. Dabei muss es sich nicht zwangsläufig um die Meinung unserer Redaktion handeln.