Mönchengladbach. Die Mutter des wegen einer Messerstecherei angeklagten Yousef S. hat dem Landgericht noch immer keinen Lichtbildausweis ihres Sohnes überlassen. Als dessen Verteidiger am Freitag vorschlug, ein Bild seines Mandanten nach Algerien zu schicken, wurde das Gericht misstrauisch. Kurz zuvor hatte ein Gutachter dem jungen Mann Schuldfähigkeit attestiert.

Yousef S. und sein Verteidiger Gerd Meister (Bild: NRW.direkt)
„Bekommen wir jetzt einen Lichtbildausweis? Kurze Frage, ja oder nein“, richtete der Vorsitzende Richter Lothar Beckers gleich zu Verhandlungsbeginn am frühen Freitagvormittag das Wort an die Dolmetscherin von Yousef S. „Bis jetzt nein“, lautete deren Antwort. Damit sind der tatsächliche Name sowie das wirkliche Alter des algerischen Angeklagten auch weiterhin ungeklärt.
Dem Asylbewerber wird vorgeworfen, am 28. Juli 2018 in einer Flüchtlingsunterkunft in Viersen mit einem Messer auf einen schlafenden Mitbewohner eingestochen zu haben. Nur durch die Gegenwehr seines Opfers und dem Eingreifen herbeigeeilter Personen sei dessen Tod verhindert worden. Aufgrund der möglichen Heimtücke lautet die Anklage damit auch auf versuchten Mord.
Zeugenvernehmungen ergaben bislang aber nur, dass es im Zimmer 706 in der Unterbringungseinrichtung ziemlich blutig zugegangen sein muss. Von wem die Aggressionen ausgegangen waren, wussten die Zeugen jedoch nicht, da sie erst danach zum Tatort geeilt waren. Erst kurz vor der Auseinandersetzung sei Yousef S. aus dem Polizeigewahrsam in die Unterkunft zurückgekommen.
Widersprüchliche Angaben zu Asylanträgen, Namen und Alter
Der Prozess gegen Yousef S. vor der 7. Großen Strafkammer des Mönchengladbacher Landgerichts ist seit Beginn von bizarren und zumeist widersprüchlichen Angaben zu seinen Asylanträgen, seinem Namen sowie seinem Alter überlagert. So behauptete er etwa, zuerst einen Asylantrag unter seinem richtigen Namen, danach einen zweiten unter einem falschen Namen gestellt zu haben.
Außerdem habe er sich bei seinem Asylantrag älter gemacht, um mehr Geld zu bekommen, schilderte er zu Prozessbeginn. Zur Jahreswende hatte er jedoch in einem Brief aus der Haft plötzlich ein anderes Alter angegeben, mit dem er noch knapp in das Heranwachsendenstrafrecht fallen würde. Das begründete er damit, dass ihm eine Sozialarbeiterin geraten habe, sein „richtiges Alter“ anzugeben, um in eine Jugendhaftanstalt zu kommen.
Seinen Ausweis habe er vor seiner Reise nach Deutschland Ende 2015 in Algerien zurückgelassen, lautete seine Darstellung. „Personen“ hätten dazu ihm geraten und gesagt, dies sei „besser“ für ihn. Beim Prozessauftakt wurde seine Dolmetscherin, die sich um einen Kontakt zu seiner Mutter in Algerien bemüht hatte, damit betraut, diese aufzufordern, eine Kopie eines Lichtbildausweis ihres Sohnes nach Deutschland zu schicken. Beim zweiten Verhandlungstag berichtete die Übersetzerin jedoch, die Mutter sei dazu „zu misstrauisch“ und wolle zuerst mit ihrem Sohn telefonieren. Lothar Beckers stellte jedoch sofort klar, dass ein solches Gespräch erst möglich sei, wenn die Unterlagen bei Gericht eingegangen sind.
Messenger-Nachricht aus dem Gericht nach Algerien
Am Freitagmittag schlug Gerd Meister, der Verteidiger von Yousef S., dem Gericht vor, ein Bild seines Mandanten zu machen und dieses über soziale Netzwerke nach Algerien zu schicken, um die Mutter zu überzeugen. Das aber machte den Richter misstrauisch: „Es gibt ja die Möglichkeit von Montagen“, sagte Lothar Beckers. Auch Richterin Friederike Hirsch hatte Bedenken: „Wir brauchen einen Ausweis mit Lichtbild. Und jetzt schicken wir eines ‚rüber.“
Nach längeren Diskussionen sendete Meister auf dem Facebook-Messenger dem Bruder von Yousef S. folgende Botschaft: „Mein lieber Bruder, sag‘ Mama, sie soll mir ganz wichtig einen Ausweis mit Lichtbild schicken. Sie soll der Dolmetscherin vertrauen.“ Weitere Ausführungen hatte Lothar Beckers unterbunden und das damit begründet, dass darin „zu viele Informationen“ enthalten seien.
„Keine Erkenntnisse auf ernstzunehmende Krankheiten“
Kurz zuvor hatte der psychiatrische Gutachter Martin Albrecht Yousef S. Schuldfähigkeit attestiert. Es gebe keine Erkenntnisse auf „ernstzunehmende Krankheiten“, sagte der Sachverständige. „Für mich ist er als durchaus schuldfähig zu bezeichnen. Ich sehe keine Gründe, das anders zu sehen“, erläuterte Albrecht seine Einschätzung. Auffällig dabei war, dass er die Schilderungen von Yousef S. zu dessen Lebenslauf ihm gegenüber mehrfach mit der Vokabel „angeblich“ wiedergab.
Der Prozess wird am 18. Februar mit den Plädoyers fortgesetzt. Das Urteil soll bereits einen Tag später verkündet werden.