Kolumnen Politik

Hartz IV: Reichen 156 Euro zum Leben?

2008 hat eine Studie zur Höhe des Hartz-IV-Satzes eine Empörungswelle ausgelöst. Wichtige Diskussionen aber blieben aufgrund der politischen Korrektheit aus. Jetzt wollen einige Politiker Hartz IV abschaffen, andere wollen es reformieren. Ist Hartz IV noch zeitgemäß? Ist es gerecht? Oder reichen sogar 156 Euro zum Überleben? Dürfen wir das politisch inkorrekt diskutieren? Eine Kolumne von Christian Loose.

Christian Loose

Aus Kreisen der SPD kommen Forderungen nach dem Ende der Grundsicherung für Arbeitssuchende, dem sogenannten Hartz IV. Stattdessen möchten einige einen sozialistischen, vom Staat organisierten Arbeitsmarkt für Hartz-IV-Bezieher schaffen. Damit könnten SPD-nahe Vereine wie etwa die Arbeiterwohlfahrt (AWO) billig Personal generieren. Und Langzeitarbeitslose könnten Aufgaben übernehmen, die die Städte in den letzten Jahren vernachlässigt haben, da diese selbstverschuldet vor dem finanziellen Ruin stehen. Im Umfeld der CDU wird nur nebulös über Reformen bei Hartz IV gesprochen. Eine ernsthafte Diskussion über Sinn und Höhe von Hartz IV wird nicht angestoßen, stattdessen bleibt man im Ungefähren.

Doch wäre es nicht an der Zeit zu fragen, ob die Höhe des Regelsatzes angemessen ist? Von den Sozialverbänden kommt immer wieder der Vorwurf, dass dieser zu niedrig sei. Eine schlüssige Argumentation dafür fehlt allerdings. Wissenschaftler haben im Gegenzug bereits 2008 ermittelt, dass der Regelsatz deutlich oberhalb des Existenzminimums liegt und damit auch eine angemessene gesellschaftliche Teilhabe, etwa in Form von Theater- oder Kinobesuchen, möglich ist.

Bedarfsermittlung mit dem Warenkorb

2008 unternahmen Professor Friedrich Thießen und Christian Fischer den Versuch, das Thema wissenschaftlich zu betrachten. Damals war die Politik vom Bundesverfassungsgericht aufgefordert worden, eine transparente Herleitung des Regelsatzes vorzunehmen.

Die beiden Wissenschaftler erstellten einen Warenkorb mit Preisstand 2006, bestehend aus Kleidung, etwa sieben Teile Unterwäsche, vier Hosen, diverse Schuhe, Nahrung, Geschirr, dem Busticket, Hygieneartikel und anderem. Dabei gab es einen Minimalansatz, etwa bestehend aus Leitungswasser als Getränk, Fernseher und einem Ausweis für die Stadtbibliothek als Kulturangebot, aber keinem Handy. Und es gab einen Maximalansatz, der etwa zusätzlich aus Radio, Videorekorder, einem Handy, Fahrrad sowie Kino- und Schwimmbadbesuchen bestand. Die Kosten für Möbel und Lebensmittel waren im Minimalfall grundsätzlich Discounterpreise, im Maximalfall auch vereinzelt Preise aus Vollsortimentsläden, wie etwa Kaufhof. Kosten für Miete, Heizkosten und Strom wurden nicht berücksichtigt, da diese im Regelsatz nicht abgebildet waren.

Reicht gar ein Hartz-IV-Satz von 156 Euro?

Die beiden Wissenschaftler haben die Ergebnisse mit dem damaligen Regelsatz für die neuen Bundesländer in Höhe von 331 Euro verglichen. Im Minimalfall wurde für den Warenkorb eine Höhe von 132 Euro errechnet, im Maximalfall ergab sich eine Höhe von 278 Euro. Der damalige politisch gesetzte Regelsatz lag also 16 Prozent oberhalb der wissenschaftlich ermittelten notwendigen Höhe. In der Studie wurde unter anderem bemängelt, dass bei Hartz IV anscheinend auch Kosten für Tabak und Alkohol einbezogen werden. Laut den Ergebnissen der Wissenschaftler lag der Hartz-IV-Satz also 2006 mit 53 Euro Differenz deutlich über dem notwendigen Niveau. Würde der Warenkorb nunmehr bis ins Jahr 2018 fortgeschrieben und dabei die Inflation seit 2006 in Höhe von 18 Prozent berücksichtigt, ergibt sich folgendes Bild:

Der Minimalwert des Warenkorbs würde heute bei 156 Euro liegen. Der Maximalwert läge bei 328 Euro. Der inflationierte Regelsatz müsste statt 331 nunmehr 391 Euro betragen. Tatsächlich ist der Regelsatz aber durch politische Entscheidungen in diesem Zeitraum um 26 Prozent auf 416 Euro gestiegen. Der Abstand zwischen dem tatsächlichen Regelsatz und dem maximalen Bedarf hat sich damit auf 88 Euro erhöht.

Anreizwirkung für die Jobsuche

Natürlich steht außer Frage, dass wir Menschen unterstützen müssen, die zwar arbeiten möchten, aber aufgrund einer Erkrankung oder dauerhaften körperlichen Einschränkung nicht dazu in der Lage sind.

Es stellt sich aber auch die Frage, wie wir es schaffen, Jugendliche, die keine Lust zum Arbeiten zu haben, dazu zu bewegen, eine Arbeit oder eine Ausbildung anzunehmen. Gerade bei einer Ausbildung erhalten diese Menschen häufig weniger Geld als mit Hartz IV und müssen deswegen aufstocken. Das lockt keinen Jugendlichen vom Sofa herunter. Auch die Perspektive, nach einer dreijährigen Ausbildung als Mindestlohner eventuell nur etwa 300 Euro im Monat mehr zu haben, dürfte bei diesen Menschen keine Begeisterungswelle auslösen.

Damit stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, beim Hartz-IV-Regelsatz eine deutliche Spreizung vorzunehmen. Personen, die etwa noch nicht mal fünf Jahre in ihrem Leben gearbeitet haben, könnten auf den Maximalsatz von 328 Euro reduziert werden. Die Menschen aber, die bereits Jahrzehnte gearbeitet haben und nun durch einen Schicksalsschlag aus der Bahn geworfen wurden, könnten dafür den aktuellen Regelsatz behalten.

Magneteffekt für die Armutseinwanderung

Bulgaren haben im Durchschnitt 350 Euro zum Leben. Die Ärmsten unter ihnen dürften aber eher bei Einkünften unter 150 Euro liegen. Damit ist es gerade für wenig gebildete Menschen aus Bulgarien, die weder in ihrem Heimatland noch hierzulande eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben, attraktiv nach Deutschland zu kommen. Dank der Freizügigkeit innerhalb der EU ist dies für Bulgaren oder Rumänen auch problemlos möglich und führt zu Ansammlungen in verschiedenen Großstädten, wie etwa in der Dortmunder Nordstadt.

Damit EU-Ausländer Hartz IV erhalten können, müssen Sie nach einem Urteil des Bundessozialgerichts im Vorfeld zwölf Monate sozialabgabenpflichtig gearbeitet haben. Danach besteht ein zeitlich unbefristeter Anspruch auf Hartz IV.

Wie die Wissenschaftler errechneten, reichen in Deutschland bei extrem sparsamer Lebensweise neben der Warmmiete und den Stromkosten sogar 156 Euro pro Monat zum Überleben. Damit könnte ein genügsamer Bulgare bis zu 260 Euro in sein Heimatland schicken und damit weitere Verwandte zum Nachzug bewegen. Der Hartz-IV-Satz zieht also die Ärmsten der Armen in der EU wie ein Magnet an.

Wie viel Sozialstaat können wir uns leisten?

Deutschland möchte sich moralisch stets gerne über andere Länder erheben. Wir seien die Vorreiter beim Kampf gegen den Klimawandel, wir helfen, wenn der Euro schwächelt, wir übernehmen einen Großteil der Beitragszahlungen der Briten nach deren Ausscheiden aus der EU und so weiter.

Doch wie lange kann sich Deutschland das noch leisten? Aufgrund der sogenannten Energiewende etwa haben bereits Zehntausende ihren Job bei RWE und E.ON verloren. ThyssenKrupp wird von einem indischen Unternehmen geschluckt und verlagert Arbeitsplätze ins Ausland. Wer also soll diese Lasten zukünftig tragen? Und wäre das dann in dieser Form noch gerecht? Wir brauchen endlich eine offene Debatte über unseren Wohlfahrtsstaat. Fangen wir damit bei Hartz IV an.

Die Kolumnen bei NRW.direkt geben die Meinung des jeweiligen Autors wieder. Dabei muss es sich nicht zwangsläufig um die Meinung unserer Redaktion handeln.

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Über den Autor

Christian Loose

Der im Münsterland geborene Christian Loose ist seit 2015 wirtschaftspolitischer Sprecher der NRW-AfD. Seit Juni 2017 ist er Abgeordneter im Düsseldorfer Landtag. Der gelernte Bank- und Diplomkaufmann arbeitete acht Jahre bei einem großen Energieunternehmen und führte dort wirtschaftliche Analysen für Großprojekte ab einer Million Euro durch. Eines seiner politischen Ziele ist es, die Steuergeldverschwendung der Politiker zu bekämpfen, wofür er auch einen entsprechenden Straftatbestand fordert. Sein Lieblingszitat stammt von der ehemaligen britischen Premierministerin Margret Thatcher: „The problem with socialism is that you eventually run out of other people’s money." Übersetzt: „Das Problem mit dem Sozialismus ist, dass dir am Ende das Geld anderer Leute ausgehen wird."