Kolumnen Politik

Hilfe für Erdogan – ein fatales SPD-Zeichen

In ihrem Stammland NRW dümpelt die SPD um 22 Prozent. Wie kann sie hier neue Wähler gewinnen? NRW ist aber auch „Erdogan-Land“, mit exorbitant guten Ergebnissen für die AKP. Jetzt bringt SPD-Chefin Andrea Nahles Türkei-Hilfen ins Spiel. Das wäre eine Unterstützung der Politik des türkischen Präsidenten Erdogan. Wahltaktisches Manöver oder Naivität? Eine Kolumne von Christian Loose.

Christian Loose

Seit Ende 2016 gerät die türkische Lira immer weiter unter Druck. In diesem Jahr hat sich der Wechselkurs bereits um 50 Prozent verändert. Während man zur Jahreswende noch etwa 4,5 Lira für einen Euro bezahlen musste, liegt der Kurs aktuell bei knapp sieben Lira für einen Euro. Eine handfeste Wirtschafts- und Bankenkrise hat das Land fest im Griff. Der Staat selbst hat sich jedoch nur mäßig verschuldet, so dass zumindest hier kein direktes Risiko vorherrscht.

Die türkischen Banken aber werden vom Finanzmarkt kritisch beobachtet. Denn das Wirtschaftswachstum scheint es wohl nur noch auf dem Papier zu geben. Zumindest zweifeln die ersten Experten die offiziellen Zahlen an. Käme nun eine Insolvenzwelle auf das Land zu, droht eine Bankenkrise, wobei die Finanzwelt davon ausgeht, dass die Regierung die Banken dann finanziell stützen wird. Und solche möglichen Finanzhilfen würden zu enormen Belastungen beim türkischen Staat führen und damit zu einem Risiko bis hin zu einer Insolvenz – weshalb zwei große Ratingagenturen die Türkei in der letzten Woche weiter herabgestuft haben. Mit der Herabstufung auf B+ schätzt die Ratingagentur Standard & Poor’s Türkei-Anleihen inzwischen als hochspekulative Anlage ein.

Überhitzer Markt auf Pump

Viele Unternehmen haben ihre Kredite kurzfristig finanziert, womit sie bei Zinserhöhungen hohe Risiken eingehen. Dieses Phänomen kennen wir bereits aus der US-Immobilienblase: Die kurzfristigen Zinsen stiegen damals an, womit viele Arbeiter die Raten für ihren Kredit nicht mehr zahlen konnten, was wiederum zur Pfändung ihres Hauses führte. Die Immobilienpreise gingen in den Keller und die erzielten Erlöse reichten nicht mehr aus, um die Kredite zu tilgen. Damals hat das Kippen des Immobilienmarktes zahlreiche Banken in eine Schieflage geführt und zu der uns bekannten – und am Ende weltweiten – Finanzkrise geführt.

Dies droht nun auch der Türkei. Die Inflation liegt aktuell bei rund 16 Prozent, die Zentralbankzinsen auf über 17 Prozent gestiegen und die Zinsen von Unternehmenskrediten rangieren häufig bei 25 Prozent und mehr. Dabei übt die türkische Regierung wohl Druck auf die Zentralbank aus, um einen stärkeren Anstieg zu vermeiden. Ein solches Vorgehen wirbelt die Finanzwelt aber noch weiter auf, da politischen Maßnahmen an der Unabhängigkeit der Notenbank zweifeln lassen. Eine Notenbank sollte lediglich die Stabilität der Währung erhalten, aber keine politischen Ziele verfolgen.

Auch wurden Kredite von Unternehmen häufig nicht in Lira, sondern in Euro oder Dollar aufgenommen. Wenn die Unternehmen ihre Umsätze und die daraus resultierenden Gewinne aber hauptsächlich in Lira tätigen und diese nun massiv abwertet, reichen die Umsätze irgendwann nicht mehr aus, um die Fremdwährungskredite zu bedienen. Damit droht die Zahlungsunfähigkeit.

Reinigung von Märkten und Politik möglich

2001 hatte die Türkei die letzte größere Wirtschafts- und Finanzkrise zu bewältigen. Zur damaligen Zeit gründete sich die Adalet ve Kalkınma Partisi (AKP) des heutigen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und gewann 2002 überraschend die Wahlen. Die AKP startete – hauptsächlich vom Internationalen Währungsfonds (IWF) geforderte – Reformprogramme und die Wirtschaft kam wieder in Schwung.

Nun gibt es in jeder Krise auch eine Chance. Die Wähler Erdogans und der AKP könnten nun erkennen, dass sich die Partei des Jahres 2002 in den letzten Jahren radikal verändert hat. Auf wirtschaftliche Freiheit folgten Verbote, etwa beim Alkoholverkauf, eine massenhafte Inhaftierung von politischen Gegnern sowie ein generell zunehmender Einfluss des Islams auf Politik und Leben. Durch solche Krisen könnten neue Parteien entstehen und erfolgreich werden, wie wir dies bereits 2002 in der Türkei, aber in den letzten Jahren auch in zahlreichen europäischen Ländern Europas sehen konnten.

Nahles Hilfe bedeutet Hilfe für Erdogans Politik

Und ausgerechnet in dieser Situation bringt die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles deutsche Hilfen für die Türkei ins Gespräch. „Es kann die Situation entstehen, in der Deutschland der Türkei helfen muss – unabhängig von den politischen Auseinandersetzungen mit Präsident Erdogan“, sagte Nahles am Sonntag in der WAZ. „Die Türkei ist ein Nato-Partner, der uns nicht egal sein kann. Es ist in unser aller Interesse, dass die Türkei wirtschaftlich stabil bleibt und die Währungsturbulenzen eingedämmt werden.“ Auch den für September geplanten Staatsbesuch des türkischen Präsidenten in Deutschland findet Nahles richtig.

Nicht nur, dass Andrea Nahles ihre Kompetenzen als Politikwissenschaftlerin und Arbeitsministerin überschreitet – sie überschreitet auch die Grenzen einer verantwortungsvollen Politik. Es ist eben nicht die Aufgabe Deutschlands, bei Finanz- und Wirtschaftskrisen zu helfen, denn dafür gibt es unter anderem den IWF. Dort sitzen Fachleute, die Finanzhilfen in der Regel nur dann gewähren, wenn sich das Land zu umfangreichen Reformen bereit erklärt.

Oder möchte die SPD-Chefin der Türkei Reform-Bedingungen für ihre großzügige Hilfen stellen? In diesem Fall aber würde Deutschland – natürlich erst nach Vergabe von Finanzhilfen – zum Feind der Türkei. Denn Erdogan würde argumentieren, dass Deutschland das Land „knebeln“ wolle. So wettert der türkische Präsident bereits jetzt über Teile der Finanzwirtschaft als „ökonomische Terroristen“.

Wendet sich die SPD jetzt Erdogan-Wählern zu?

Oder möchte Andrea Nahles ein Signal an diejenigen türkischen Wähler senden, die auch einen deutschen Pass besitzen? Das würde insbesondere das ehemalige SPD-Stammland Nordrhein-Westfalen betreffen, da hier die größte Anzahl an Erdogan-Anhängern lebt. Etwa zwei Drittel der türkischen Wähler haben in NRW die Partei von Erdogan gewählt. Die SPD aber hat seit der letzten Landtagswahl in Umfragen etwa neun Prozentpunkte und damit rund 30 Prozent ihrer Wähler verloren. Ist Nahles‘ lautes Nachdenken über Türkei-Hilfen also nun der Schritt in Richtung der Wählergruppe der Deutsch-Türken?

Das Angebot der auf Bundesebene mitregierenden SPD ist aber auch eine Ohrfeige für jeden Hoffenden, der in der Krise der Türkei die Chance auf einen politischen Wechsel sieht. Deutschland hat all die Jahre zugesehen, wie Erdogan das Handeln der Regierung mit dem Islam verknüpft hat. Damit wurde die wichtigste Reform Atatürks, nämlich die Trennung von Staat und Religion, mit Füßen getreten. Jetzt aber möchte Nahles nicht wegsehen. Jetzt möchte sie Erdogan und damit dessen islamisierende Politik unterstützen. Das ist ein gefährlicher Weg.

Die Kolumnen von NRW.direkt geben die Meinung des jeweiligen Autors wieder. Dabei muss es sich nicht zwangsläufig um die Meinung unserer Redaktion handeln.

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Über den Autor

Christian Loose

Der im Münsterland geborene Christian Loose ist seit 2015 wirtschaftspolitischer Sprecher der NRW-AfD. Seit Juni 2017 ist er Abgeordneter im Düsseldorfer Landtag. Der gelernte Bank- und Diplomkaufmann arbeitete acht Jahre bei einem großen Energieunternehmen und führte dort wirtschaftliche Analysen für Großprojekte ab einer Million Euro durch. Eines seiner politischen Ziele ist es, die Steuergeldverschwendung der Politiker zu bekämpfen, wofür er auch einen entsprechenden Straftatbestand fordert. Sein Lieblingszitat stammt von der ehemaligen britischen Premierministerin Margret Thatcher: „The problem with socialism is that you eventually run out of other people’s money." Übersetzt: „Das Problem mit dem Sozialismus ist, dass dir am Ende das Geld anderer Leute ausgehen wird."