Bochum. Im Februar von der Islamismus-Expertin Sigrid Herrmann-Marschall recherchierte sowie von NRW.direkt veröffentlichte Fakten über Muslimbrüder in der Khaled-Moschee wurden einen Monat später vom Verfassungsschutz bestätigt. Dennoch brachte der SPD-Politiker Karsten Rudolph, in dessen Wahlkreis die Moschee liegt und dem vor Jahren vorgeworfen wurde, eine Bin-Laden-Puppe in seinem Büro zu haben, NRW.direkt am Dienstag im Kölner Stadt-Anzeiger mit „Fake-News“, der „Verbreitung übler Ressentiments“ sowie der AfD in Verbindung.

Die Khaled-Moschee des IKV Bochum (Bild: NRW.direkt)
Am 10. Februar veröffentlichte NRW.direkt einen Artikel mit der Überschrift „Schulung für Jugendliche durch Muslimbrüder?“ Darin ging es, so die Islamismus-Expertin Sigrid Herrmann-Marschall, um den Auftritt zweier „langjährig und einschlägig bekannter Akteure aus dem Aktionsgeflecht der Muslimbruderschaft“ am 16. und 17. Februar bei einer sogenannten Sira-Schulung in der Bochumer Khaled-Moschee des Islamischen Kulturvereins (IKV). Bei dieser Schulung handelte es sich laut der auf Facebook sowie auf der Web-Präsenz des IKV veröffentlichten Ankündigung um „eine intensive Schulung zur Biographie des Propheten Mohammad“ in deutscher Sprache.
Die Muslimbruderschaft wird von den Innenbehörden immer kritischer gesehen. „Mittelfristig geht von den hiesigen Ablegern der mächtigsten globalen Islamisten-Bewegung eine größere Gefahr für die Demokratie aus, als durch die Terror-Organisationen al-Qaida oder dem Islamischen Staat (IS)“, hieß es etwa im Dezember in mehreren Medienberichten unter Berufung auf Sicherheitsbehörden. Auch Landesverfassungsschutz-Chef Burkhard Freier warnte zuletzt mehrfach vor den Strukturen der Muslimbruderschaft.
Grundlage des Artikels war eine Pressemitteilung von Sigrid Herrmann-Marschall. Diese Mitteilung wurde an eine Reihe nordrhein-westfälischer Medien verschickt, insbesondere an solche im Raum Bochum. Allerdings war NRW.direkt das einzige Medium, das diese Mitteilung aufgriff und darüber berichtete. Dabei wurde auch das Fazit von Herrmann-Marschall wörtlich zitiert: „Bochum jedenfalls hat mit dem IKV einen Ort, an dem immer wieder Muslimbrüder auftreten.“ Auch diese Aussage war ihrer Pressemitteilung entnommen.
Lediglich die AfD-Fraktion reagiert auf den Artikel
Dieser Artikel wurde am 19. Februar von der AfD-Fraktion im Landtag in einer Kleinen Anfrage an die Landesregierung aufgegriffen. Darin wurde auf den Artikel von NRW.direkt Bezug genommen, Sigrid Herrmann-Marschall wurde in der Anfrage als „Sigrid H.-M.“ bezeichnet. In dieser Anfrage wollte die AfD-Fraktion unter anderem wissen, ob die Khaled-Moschee vom Verfassungsschutz beobachtet wird sowie welche Informationen der Landesregierung über mögliche verfassungsfeindliche Bestrebungen in Zusammenhang mit dieser Moschee vorliegen. An diesem Vorgang war unsere Redaktion weder beteiligt noch hätte sie dem widersprechen können, denn grundsätzlich darf jeder im Rahmen des gesetzlich vorgegebenen Zitiergebots aus unseren journalistischen Angebot zitieren oder darauf Bezug nehmen.
Gleichzeitig muss die AfD-Fraktion offenbar einen Berichtswunsch zu den Vorgängen in und um die Khaled-Moschee verfasst haben. Anders lässt sich nicht erklären, dass einer der Tagesordnungspunkte (TOP) bei der Sitzung des Innenausschusses am 14. März „Schulungen durch Muslimbrüder in Bochumer Moschee?“ lautete und dabei auf einen Antrag der AfD verwiesen wurde.
Verfassungsschutz bestätigt die Berichterstattung
Zu diesem TOP legte die Landesregierung am 14. März auch einen Bericht vor. Darin hieß es unter anderem: „Der IKV Bochum sowie die durch diesen betriebene Khaled-Moschee sind der Verfassungsschutzbehörde NRW bekannt. Personelle und strukturelle Verbindungen des Vereins in den Extremismus werden im Rahmen des gesetzlichen Auftrags des Verfassungsschutzes untersucht. So wird der Verein auch als Anlaufstelle für Personen mit Bezügen zu beobachteten islamistischen Bestrebungen bewertet. Hierzu gehören neben salafistischen Bestrebungen vor allem Aktivitäten aus dem Spektrum der Muslimbruderschaft, zum Beispiel durch Auftritte von Referenten aus deren Umfeld, welche bereits mehrfach in der Khaled-Moschee des IKV festgestellt wurden.“ Damit waren die Recherchen von Sigrid Herrmann-Marschall wie auch die daraus resultierende Veröffentlichung von NRW.direkt indirekt bestätigt.
Öffentliches Interesse aber lösten diese Informationen nicht einmal in Bochum aus. Der Paukenschlag in der Öffentlichkeit kam erst, als die Antwort auf die Kleine Anfrage der AfD-Fraktion am 24. März veröffentlicht wurde. Obwohl in der Antwort von der Landesregierung im Wesentlichen nur auf den bereits am 14. März im Innenausschuss vorgelegten Bericht verwiesen wurde, griffen die Rheinische Post (RP) sowie die WAZ das Thema auf. Groß aufgemachte Zeitungsartikel sorgten dafür, dass nunmehr auch die breite Öffentlichkeit von den Muslimbrüdern in der Khaled-Moschee erfuhr.
Insbesondere in der Bochumer Lokalpolitik löste dies sofort Diskussionen über den IKV aus. In der Berichterstattung der Zeitungen wurden weder Sigrid Herrmann-Marschall noch NRW.direkt erwähnt, sondern lediglich darauf verwiesen, dass eine Anfrage der AfD-Fraktion diese Erkenntnisse hervorgebracht hätte. In der Antwort der Landesregierung war jedoch die Frage der AfD-Fraktion samt deren Vorbemerkung mit aufgeführt. Damit konnte auch in Bochum rekonstruiert werden, wie es kausal zu diesen für den IKV unangenehmen Veröffentlichungen gekommen war.
Terror-Opfer mit Bin-Laden-Puppe verhöhnt?
Das aber dürfte auch bei der Bochumer SPD Verärgerung ausgelöst haben. Die habe „super Kontakte“ zum IKV, sagte ein Lokalpolitiker, der ungenannt bleiben wollte, gegenüber unserer Redaktion. Im Landtagswahlkreis Bochum II, in dem auch die Khaled-Moschee liegt, ist es Karsten Rudolph, der für die SPD kandidiert. Im Landtag aber gilt Rudolph als Hinterbänkler. Innenpolitik, gar Extremismus, gehören nicht mehr zu seinen Fachbereichen. Dem Innenausschuss gehört er inzwischen nicht einmal mehr als stellvertretendes Mitglied an. Ordentliches Mitglied ist er derzeit lediglich im Wissenschaftsausschuss sowie im Ausschuss für Digitalisierung und Innovation.
Als Innenpolitiker geriet Karsten Rudolph nur 2010 in die Schlagzeilen: Damals berichte die Rheinische Post, dass der SPD-Politiker eine Spielzeug-Puppe des Ex-Terror-Chefs Osama bin Laden in seinem Büro stehen habe. CDU und FDP waren empört, warfen Rudolph die Verhöhnung von Terror-Opfern vor und wollten dazu im Landtag eine Aktuelle Viertelstunde durchsetzen. Rudolph aber dementierte die Bin-Laden-Puppe: „Ich habe in meinem Büro nur einen Plüschteddy der Deutschen Polizeigewerkschaft. Den habe ich geschenkt bekommen“, sagte er der Bild-Zeitung. „Es ist schon bezeichnend, dass sich CDU und FDP über eine nicht mehr existierende Spielzeugpuppe aufregen, anstatt sich um die wirklich wichtigen Probleme der Innenpolitik zu kümmern.“
Ist Islamismus-Kritik für Karsten Rudolph etwas Schlechtes?
Und eben dieser Karsten Rudolph erhob am vergangenen Dienstag im Kölner Stadt-Anzeiger (KStA) schwere Vorwürfe gegen NRW.direkt, weil sich die AfD-Fraktion bei Anfragen darauf bezogen habe. „Das ist ein selbstreferenzielles System, das sich bestens eignet, um Fake-News zu generieren und zum Gegenstand der parlamentarischen Auseinandersetzung zu machen“, behauptete er. Dabei verwies er darauf, dass der AfD-Landtagsabgeordnete Christian Loose zu den „regelmäßigen Autoren“ von NRW.direkt gehöre. Und die „zum äußersten rechten Rand der CDU gerechnete“ Düsseldorfer Bundestagsabgeordnete Sylvia Pantel „verbreite ihre Islamismus-Kritik“ über NRW.direkt.
Auch sei das Angebot von NRW.direkt „eindimensional und auf Berichte über die Kriminalität von Zuwanderern und Migrationsprobleme ausgerichtet“. So gehe es in der Rubrik Justiz um eine Brandstiftung durch Flüchtlinge und einen Salafisten-Prozess. In der Rubrik Panorama sei über einen „Islam-Verein“ berichtet worden, der ein Bildungszentrum in Wuppertal plane. An der angeblichen Namensgleichheit von NRW.direkt mit einem Service-Portal der Landesregierung störte sich Karsten Rudolph ebenfalls: „Die absichtliche Namensgleichheit ist ein dreister Versuch, sich einen seriösen Anstrich zu geben“, sagte er. „Unter der Tarnung als amtliche Nachrichtenagentur werden üble Ressentiments verbreitet.“
Beim „Islam-Verein“ ging es um Bezüge zur Salafisten-Szene
Zu den wenigen richtigen Darstellungen von Karsten Rudolph gehört, dass der AfD-Landtagsabgeordnete Christian Loose tatsächlich zu den Kolumnisten von NRW.direkt gehört. Loose hatte in mehreren Jahren seiner Kolumnisten-Tätigkeit jedoch ausschließlich Texte zu wirtschafts- und finanzpolitischen Themen veröffentlicht. Kritik an islamistischen Strukturen war lediglich in den Kolumnen von Sylvia Pantel zu lesen. In diesem Zusammenhang aber erklärte Karsten Rudolph nicht, was daran falsch oder schlecht sein soll. Bei dem von ihm als Beleg für seine Beschuldigungen genannten Artikel über den „Islam-Verein“ in Wuppertal ging es darum, dass dieser offenbar Bezüge zur Salafisten-Szene hat. Auch dieser Artikel resultierte aus einer Pressemitteilung von Sigrid Herrmann-Marschall.
Noch absurder muteten Rudolphs Vorwürfe an, NRW.direkt würde sich als „amtliche Nachrichtenagentur tarnen“. Unsere Redaktion hatte sich Ende 2015 für diesen Namen entschieden, da die Namen nrw-aktuell und NRW.jetzt bereits von anderen Medien beansprucht wurden. Da die Landesregierung für ihr damals gleichnamiges Service-Portal nie Markenrechte beansprucht hatte, war es auch problemlos möglich, den Namen NRW.direkt nutzen zu dürfen. Die Landesregierung reagierte später damit, ihr Portal „Nordrhein-Westfalen direkt“ zu nennen.
Bewusste Falschaussage als Überschrift
Auffällig war auch, wie trickreich der Kölner Stadt-Anzeiger vorgegangen ist, um den Vorwürfen von Karsten Rudolph einen Anschein von Richtigkeit zu geben. So lautete die Überschrift des entsprechenden Artikels „NRW-Marke benutzt: Internet-Seite mit AfD-Autor ‚tarnt‘ sich als Amtsportal“. Da dem Verfasser des KStA-Artikels jedoch bekannt war, dass die Landesregierung „NRW direkt“ nie als Marke beansprucht hatte, kann dies als bewusste Falschaussage bewertet werten.
Auch als es darum ging, dem Herausgeber von NRW.direkt und Verfasser dieses Artikels die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben, wurde getrickst: So wurde ihm dabei der Vorwurf von „Fake-News“ verschwiegen, ebenso dass Karsten Rudolph hinter den Vorwürfen steht. Damit war er der Möglichkeit beraubt, den Zusammenhang zu seinem Artikel über die Muslimbrüder in der Khaled-Moschee herzustellen.
Der Möglichkeit, darauf hinzuweisen, dass in mehr als drei Jahren nur ein einziger Artikel von NRW.direkt beanstandet wurde, wurde er damit ebenfalls beraubt. Bei dem beanstandeten Beitrag handelte es sich um einen Artikel über einen bekannten Salafisten-Prediger in einer Düsseldorfer Erziehungseinrichtung. Und bei dieser Beanstandung hatten die Betreiber der Erziehungseinrichtung keine Chance, da sich herausstellte, dass NRW.direkt den Sachverhalt korrekt dargestellt hatte. Dass es sich bei dem Herausgeber von NRW.direkt um kein AfD-, sondern vielmehr um ein CDU-Mitglied handelt, verschwieg der Autor des Kölner Stadt-Anzeiger in seinem Artikel ebenfalls – obwohl ihm das auch bekannt war.
Juristisches Vorgehen gegen den Stadt-Anzeiger chancenlos?
Dennoch scheint ein juristisches Vorgehen gegen den Kölner Stadt-Anzeiger chancenlos zu sein: Eine renommierte Kölner Kanzlei für Medienrecht riet unserer Redaktion am Freitag davon ab. „Soweit in dem Artikel von Fake-News die Rede ist, wird nur gesagt, dass sich das System dazu eignet. Dass tatsächlich Fake-News verbreitet werden, wird nicht behauptet und ein entsprechender Eindruck, der sicherlich beabsichtigt ist, ist nicht unabweislich, was nach der Rechtsprechung aber erforderlich ist. Bei dem Begriff ‚üble Ressentiments‘ handelt es sich um eine – noch – zulässige Meinungsäußerung“, hieß es zur Begründung.
Damit dürfte es Karsten Rudolph und dem Kölner Stadt-Anzeiger gelungen sein, dem Image von NRW.direkt schweren Schaden zuzufügen. Daran, dass die Recherchen von Sigrid Herrmann-Marschall sowie unsere Berichterstattung zu den Muslimbrüdern in der Khaled-Moschee vom Verfassungsschutz bestätigt wurden und in Bochum zu Diskussionen über den IKV geführt haben, kann aber auch Karsten Rudolph nichts mehr ändern.
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